geschichte-der-zeit.de

»Tag & Nacht  Zeit?  »Wiege der Zeit  »Sonnenuhr  »Astronomische Zeit  »Kalendervorläufer

Was ist Zeit?

Gestirne und Zeitmessung

Gedicht: Geborgen

Zeit beim Hirten des Altertums

Gedicht: Chaldäischer Hirte

Tag und Nacht - Das ewige Zeitmaß

"Zeit", so definieren die Naturwissenschaftler, "ist der Abschnitt zwischen zwei periodisch sich wiederholenden Ereignissen."

Und wie sich diese Ereignisse immerzu wiederholen - von allen Menschen sichtbar: Aufgang und Untergang der Sonne. Das ist und bleibt das augenscheinlichste Zeitmaß der Menschheit. Für einen Hirten, der vor sieben Jahrtausenden seine Schafe und Ziegen durch die Ebene südlich der Stadt Ur leitete, gab es noch kein anderes Maß für das, was wir Zeit nennen. Seine einzige Uhr war das Himmelsgewölbe über ihm, an dem sich des Tages die Sonne, und des Nachts der Mond und die Sterne bewegten.

 

Die Gestirne bieten ein zuverlässiges Maß

Die Gleichförmigkeit dieser Bewegungen gaben dem Menschen Halt und Zuversicht. Auf Tag und Nacht, auf die Jahreszeiten, auf Wachsen und Vergehen konnte er sich verlassen.

Der Mensch spürt seit jeher: Es gibt Zuverlässiges mitten in meinem täglichen Kampf ums Überleben. Die Beobachtung der Gestirne half ihm, sich nicht mehr als Opfer einer unberechenbaren Unordnung, sondern als Teil dieser beeindruckenden Ordnung zu fühlen.

"Ich bin geborgen, umsorgt und geleitet wie meine Schafe, die unter meinem Schutz stehen," wurde dem Hirten zum Glaubenssatz. In Liedern gab er dieser Gewissheit Ausdruck. In den biblischen Psalmen ist uns sein Denken, Hoffen, Fühlen unmittelbar überliefert. Wir können uns vorstellen, wie er sie betete und sang – gegen alle tägliche Ungewissheit und Angst.

 

Geborgen

Ich bestaune den Himmel,
Mond und Sterne auf ihren Bahnen,
wie klein ist doch der Mensch,
und doch leitest Du,
der über allem steht,
auch ihn. (Psalm 8)

Der Himmel ruft allen zu:
”Groß und allmächtig ist Gott.”
Die Gestirne bezeugen seine Schöpfermacht.
Ein Tag sagt es dem anderen weiter,
die Nacht ruft es der nächsten zu.
Ich höre keinen Laut,
und doch geht eine Botschaft
bis ans Ende der Erde.

Ich sehe die Gestirne auf ihren Bahnen
und erkenne, Du zeigst auch mir
den Weg zum Leben. (Psalm 19)

Gott ist mein Hirte,
immer sorgt er für mich,
er bringt mich auf saftige Weiden,
am frischen Wasser lässt er mich ruhen.
Er gibt mir Kraft und führt mich,
damit ich mich in der unendlichen Weite
nicht verlaufe. (Psalm 23)

 

Das Zeitmaß des antiken Hirten

Bleiben wir noch beim chaldäischen Hirten. In manchen Büchern steht zu lesen: "Für mehr Zeiterkenntnis, als Tag und Nacht zu unterscheiden, war der Geist dieses einfachen Menschen noch nicht entwickelt." Welch ein hochmütiger Unsinn! Wie scharf war doch seine Beobachtungsgabe. Die Spur des Raubtieres, das heranziehende Unwetter, das Wohlsein oder Unwohlsein seiner Tiere, den Weg zur Wasserstelle - er erkannte die Zeichen mit unvorstellbarer Sicherheit. Er erkannte in der Länge des Schattens, den sein Hirtenstab warf, wann es Zeit war, die Tiere zu tränken, eine Rast einzulegen oder die Richtung des Weges zu ändern.

 

Zyklisches Zeitgefühl

Derselbe Tag kommt immer wieder

Das war sein Leben; eine weitere Aufteilung der Zeit in kleinere oder größere Abschnitte machte für ihn keinen Sinn. Und warum hätte er die Tage zählen sollen? Für ihn floss die Zeit noch nicht dahin; denn jeder Tag kam am nächsten Morgen zurück. Tag und Nacht, der Morgen, der Mittag und der Abend Zeit zum Wandern, Zeit zum Essen und zum Trinken, Zeit zum Ruhen – der Himmel gab ihm dafür das Raster; mehr Zeiteinteilung hatte für ihn keinen Wert.

 

Vom Hirten lernen

Nicht Hochmut darf uns bewegen, wenn wir diesen Hirten vor unserem geistigen Auge sehen. Lassen wir uns doch von ihm leiten, mit auf den Weg nehmen; er kann uns helfen - mitten in unserer Jagd nach immer größeren Sensationen - die Zeit anzuhalten, die Sinne zu öffnen, Kraft zu schöpfen aus den kleinen und großen Wundern des Alltags.

Wenn wir die Bewegung sehen, die sich in den größten und kleinsten Teilen des Universums vollzieht, so fragen wir üblicherweise nach wissenschaftlichen Erklärungen und Zusammenhängen, nach Ursache und Wirkung. Doch aus dem Blick in die Zeit kann auch ein Blick in unser Ich werden, in unsere Ängste und Hoffnungen, unsere Sehnsucht, unseren Glauben – der Hirte schon hat es uns vorgemacht.

 

Chaldäischer Hirte

Ich beneide ihn nicht,
den chaldäischen Hirten,
der seit Jahrtausenden
seine Herde begleitet,
die sein Leben ausmacht.

Ich beneide ihn nicht,
denn ich liebe,
was mein Leben ausmacht,
so vielfältig,
so technisch,
so reichlich.

Ich beneide ihn nicht,
doch ein Stück von ihm
lass mich finden in dem,
was mein Leben bestimmt.
Seine Geborgenheit in der ewigen Landschaft
lass mich finden
in den engen Straßen meiner Stadt.
Seine Dankbarkeit
für das karge Wachsen in der Wüste
lass mich finden auf rissigem Asphalt.

Seine Zufriedenheit
mit einer Hand voll Lebensnotwendigem
lass mich finden mitten im satten Überfluss.

Packesel mit Schäfer und Schafen

Ich beneide ihn nicht,
denn ich liebe,
mein Leben,
so geschäftig,
so schnell,
so unbedenklich.

Doch ein Stück von ihm lass mich finden
mitten in meinem Leben.

Lass mich am Morgen
so aufatmen und spüren,
dass mein Leben täglich neu beginnt.

Lass mich dann und wann
die Zeit vergessen,
die Stunden und Tage nicht zählen.

Lass mich am Abend
mitfühlend bei denen sein,
die so viel Grund haben,
die Nacht zu fürchten.

Ein Stück von ihm lass mich finden,
in getroster Ruhe
und Kraft für jeden neuen Tag.

Foto: Paxabay jacqueline macou (Packesel & Hirte)